Vom Wesen der Ohnmacht
Sich ohnmächtig, also ohne Macht zu fühlen, ist nicht schön. Man hat den Eindruck mit dem Rücken zur Wand zu stehen, keine Karten mehr im Ärmel zu haben. Es findet sich einfach kein Ausweg mehr. Egal was man tut, sagt oder wie man ist, nichts ändert sich. Die Situation scheint in Beton gegossen zu sein. Keine Bewegung möglich, keine Befreiung möglich, kein Ausweg möglich.
Einbahnstraße.
Höhere Instanzen, Naturgewalten, Krankheiten, Beziehungen - unverrückbare Umstände
Das Gefühl der Ohnmacht taucht oft auf, wenn höhere Instanzen involviert sind, aber auch unveränderbare Naturgewalten. Sie kann bei Krankheiten oder Schmerzen aufkommen, wenn einfach nichts, kein Mittel, keine Medizin hilft. Wir sind dem Schmerz ausgeliefert. Genauso in Beziehungen, wenn man den Partner oder das Kind einfach nicht mehr erreicht. Egal was man sagt, tut oder wie man ist, man kommt nicht durch. Man könnte den Partner schütteln, aber auch das hilft nicht.
Oder in der derzeitigen Situation, in der wir ohnmächtig sind, wann und ob ich meiner Arbeit nachgehen kann. Jemand anderer übernimmt die Macht über uns und über unsere Existenz. Das entmächtigt uns. Es liegt nicht mehr in unserer Macht für uns zu sorgen.
Reaktionen auf Ohnmacht: Wut, Kollaps, Sinnsuche
Die gängigsten Reaktionen sind Wut, Angriff, der Kollaps oder das Suchen nach dem höheren Sinn. Die Wut auf den Körper, der nicht funktioniert, der Partner, der sich entzieht, die Behörden, die etwas vorschreiben oder die Wut auf sich selbst. Es nicht zu schaffen aus dieser Ohnmacht auszubrechen.
Unter Angriff verstehe ich den Versuch alles nur erdenklich Mögliche zu tun, um aus der Ohnmacht rauszukommen, ihr zu entfliehen. Wenn ich etwas mache oder sage, habe ich eine Chance, doch sie wird nicht kommen. Wir verstricken uns damit nur noch mehr in der Ohnmacht, glauben aber wenigstens etwas dagegen zu unternehmen.
Der Kollaps, die Resignation, wenn man einfach nur noch aufgibt. Wenn jeglicher Kampf aussichtslos erscheint. Wenn man aufgibt für seine Gesundheit, für die Beziehung oder seine Existenz zu kämpfen. Man resigniert in der Haltung des Opfers der Umstände.
Das Suchen nach dem höheren Sinn, was man daraus lernen kann. Findet man diesen, kann man sich daran festhalten. Man gewinnt damit wieder ein wenig Kontrolle. Und damit wollen wir der unangenehmen Ohnmacht entfiehen.
Wenn ich mich ohnmächtig fühle, dann entwerfe ich Schlachtpläne, gehe Taktiken durch oder überlege mir Rachefeldzüge. Im Inneren weiß ich, dass das nicht helfen wird und es das letzte Strampeln vor dem "Ertrinken" ist, aber es schützt mich davor den Schmerz oder die Angst zu spüren, die der Kontrollverlust also die Ohnmacht in mir auslösen könnte.
Ohnmacht bedeutet Kontrollverlust
Ohnmacht hat mit Kontrollverlust zu tun. Wir können die Situation nicht mehr kontrollieren, so gern wir das täten, aber es liegt eben nicht in unserer Macht.
Wir haben ein starkes Sicherheitsdenken. Es stammt aus der Zeit der Sesshaftwerdung des Homo Sapiens tausende Jahre vor Christus als die landwirtschaftliche Revolution stattfand (vgl. Harari: Eine Geschichte der Menschheit). Als wir begannen uns die Natur anzueignen und Weizen anzubauen. Es gab uns die Sicherheit versorgt zu sein, aber auch die Angst diese Sicherheit zu verlieren. Diese Sicherheit wollten wir nicht mehr eintauschen, obwohl unsere Vorgänger Jahrhunderte lang darauf vertrauten, dass die Natur für sie sorgt.
Die neue Sicherheit hat also das Urvertrauen angenagt.
Verlust des Urvertrauens
Wenn nun etwas passiert, das wir nicht beeinflussen können, fehlt uns das Vertrauen, dass für uns gesorgt ist. Wir glauben daran, dass dann alles vorbei ist. Dass nie wieder so ein Partner wie der jetzige kommen wird, nie wieder ein Job für uns zur Verfügung steht oder uns nie wieder das Glück lacht. Jeder schöpft aus seinem eigenen Pool an "nie wieders", abhängig von seinen bisherigen Erfahrungen. Doch das Leben ist ständig im Fluss. Nach dem Regen kommt die Sonne, dann wieder Wolken, dann ein Hagel. Das Leben ist Veränderung. Es bleibt nie still stehen. Es gibt ständig neue Entwicklungen. Jeder hat bereits selbst erlebt, dass so manche aussichtslose Situationen ein Potential in sich trägt, das erst später zum Vorschein kommt.
Könnten wir zu diesem Urvertrauen zurückkehren, so würden wir unsere Ohnmacht einfach annehmen können, uns zurücklehnen und darauf vertrauen, dass für uns gesorgt wird. Wir müssten nicht gegen die Ohnmacht ankämpfen oder kollabieren.
Jetzt werden einige sagen: aber ich wähle lieber die Kontrolle als das Vertrauen, denn wer weiß, was mir das Universum oder das Leben oder das Schicksal als nächstes serviert. Dann krieg ich als nächstes vielleicht einen lieben Mann, aber der Sex passt nicht. Oder dann krieg ich zwar einen neuen Job, aber ich habe nicht dieselben Annehmlichkeiten wie vorher. Hier gilt es dem Leben wieder zu vertrauen. Es würde nicht enden, wenn es nicht so sein sollte, wenn es nicht einen höheren Sinn, den wir nicht kennen dahinter stünde. Und dieser Sinn muss nichts großartiges sein, außer der, dass wir hier auf Erden viel erleben wollen - Erfahrungen sammeln.
Auch dieses aber zielt wieder darauf ab die Kontrolle zu behalten, anstelle sich dem Leben anzuvertrauen, in aller Neugierde darauf, was kommen mag.
Die Ohnmacht ist nicht neugierig
Doch jeder, der sich einmal in einer aussichtslosen Situation befunden hat, weiß, dass man dann keine Neugierde verspürt. In der Ohnmacht ist das Gefühl vorherrschend klein und machtlos zu sein. So wie viele es als Kinder erlebt haben. Ausgeliefert den Eltern oder anderen mächtigeren Personen, ohne deren Fürsorge die Existenz des Kindes auf dem Spiel steht. Es geht um Leben und Tod. Daher ist in der Ohnmacht eine Ernsthaftigkeit immanent und die Angst vor dem Tod.
Ein konstruktiver Umgang mit der Ohnmacht
Bisher haben wir versucht Ohnmacht zu vermeiden oder aus ihr rauszukommen. Doch das erzeugt nur Stress und wir legen uns mit der Realität, dem was gerade ist, an. Das kostet viel Kraft. Ein konstruktiver Umgang mit dem Gefühl der Ohnmacht ist das Beenden des Kampfes dagegen. Das Beenden des Vermeidens, der Wut darüber, des Schuldzuweisens, der Kontrolle, der Sinnsuche. Es ist das Annehmen der Ohnmacht als derzeitige Realität. Das macht Angst. Denn was kommt danach?
Das große Ungewisse, die Leere, der große See des NICHT-Wissens.
Geben wir uns dem hin, finden wir wieder Frieden. Der Kampf ist ausgekämpft. Doch es ist kein kollabieren, sondern ein bewusstes Sich-hingeben. Wir lösen uns also nicht auf in dem großen Meer des Nichts, wir verlieren nicht unseren Willen, unsere Liebe oder unseren Drive.
Auf deinen Weg ins Nichts begegnest du deinen Abers: Aber dann bin ich ein Versager! Aber was wird mir die Zukunft dann bringen? Aber ich kann doch nicht einfach aufgeben? Aber ich kann meine Hoffnung nicht aufgeben!
Du wirst alle deine Abers begraben die Hoffnung, den Kampf, die Zukunftsangst. Tod und Wiedergeburt.
Bist du dann angekommen, wirst du einen unendlichen Frieden finden.
Den Frieden nichts wissen, nichts tun und nichts sein zu müssen. Darin liegt eine unglaubliche Freiheit. Denn bist du nichts, kannst du alles sein. Du bist in Verbindung mit dem unendlichen Meer der Möglichkeiten.
Die Macht der Ohnmacht
Und was bringt uns nun die Ohnmacht? Ihr Potential steckt darin einmal die Macht abzugeben, die Kontrolle aufzugeben. Sich dem Leben und dem Unwissen - der Leere hinzugeben und den Frieden darin zu erleben.
Macht und Ohnmacht
Wir erfahren beides in unserem Leben: unsere Macht und unsere Ohnmacht. Beide haben Qualitäten, die eine ist mehr aktiv, die andere passiv. Keine ist besser als die andere, das Leben fordert nun mal beide abhängig von der Situation.
Free Your Body!
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